In den Morgenstunden des 23. Jänner 1940 erreicht der größte Eisstoß seit dem Jahr 1929 die Wiener Reichsbrücke – ein Ereignis, das wir und die uns folgenden Generationen nie mehr beobachten werden können. Denn seit Ende der 1940er Jahre steigen die Wintertemperaturen deutlich an und die Donau und andere große Flüsse frieren nicht mehr langanhaltend zu. Der letzte auffallende Eisstoß fand in Wien im extrem kalten Ausnahmewinter 1955/1956 statt.
In früheren Jahrhunderten gehörten Eisstöße und die damit verbundenen Hochwasserkatastrophen für die Bevölkerung zum Alltag. Die Donau fror regelmäßig zu und Berge von Eisschollen verhinderten den Schiffsverkehr. Dauerte die Kälte lange genug an, türmten sich die Schollen oft meterhoch übereinander – das war der Eisstoß. Sobald das Tauwetter einsetzte, rissen die Schollen Brücken nieder und Hochwasserfluten überschwemmten das besiedelte Gebiet.
Besonders schrecklich war das 1830. Als da der Eisstoß aufbrach, drangen Wasser und Eis mit Wucht in die Wiener Vorstädte ein. Das Ergebnis: 74 Tote und 681 schwer beschädigte Häuser.
Durch den schnurgeraden Verlauf der Donau nach ihrer Regulierung in den 1870er-Jahren hoffte man, durch die damit einhergehende Erhöhung ihrer Fließgeschwindigkeit verheerende Eisstöße verhindern zu können.
Am 23. Jänner 1940 erinnert das „Neue Wiener Tagblatt“ in seinem aktuellen Bericht zunächst an den Eisstoß des Jahres 1929, als der Strom auf einer Länge von 40 Kilometern zugefroren war, von Ungarn bis in die Wachau: „Klirrend, knirschend und krachend schoben sich die Eisschollen zu einem einzigen glasgrün und schneeweiß schimmernden Eisberg zusammen, der eine klippenreiche Brücke zwischen den beiden Ufern bildete.“
Unabhängig von der drohenden Gefahr, war das Naturereignis für die Bevölkerung auch ein großes Spektakel: „Trotz grimmiger Kälte und eisigen Winden ließen sich die Neugierigen damals nicht abhalten, einen Ausflug zur alten Reichsbrücke zu unternehmen. Die Brücke war den ganzen Tag lang schwarz vor Menschen. Der drei Kilometer lange Weg zwischen der Brücke und einem eingefrorenen Donauarm nächst der Stadlauer Brücke glich einem breiten, menschenerfüllten Korso.“
Auch 1940 bewunderten die Wiener das winterliche Naturschauspiel: „Hinter dem Praterstern legen die Fahrgäste des „Fünfundzwanzigers” ihre Zeitungen zur Seite oder unterbrechen plötzlich die Unterhaltung mit dem Nebenmann und beginnen sich im romantischen Eisblumengestrüpp auf den hartgefrorenen Scheiben ein Guckerl auszuhauchen. Sie wollen während der Fahrt über die Reichsbrücke schnell etwas vom Eisstoß sehen.” Und weiter: “Die wollenen Pudelmützen über die Ohren gezogen, die Rockkragen hochgeschlagen und die Hände fest in die Manteltaschen gepresst, so stand am Montag Alt und Jung am Ufer und betrachtete das eindrucksvolle Naturschauspiel, das sich in märchenhafter Pracht vor ihren Augen abrollte.“
Fotos: Privatarchiv Manfred Christ
Quellen:
- „Neues Wiener Tagblatt“, 23. Jänner 1940, S.5
- „Eiszeit in Wien“ von Peter Payer. In: 1000 und 1 Buch. Magazin für Kinder- u. Jugendliteratur, 1/2009
- „Kein Eisstoß mehr in Sicht“ von Christoph Trunk. In: http://www.viadonau.org/